Es ist etwas, was man als Kletterer/in selten tut und wenn, dann nur für Trainingszwecke. Eine bereits gekletterte Route oder Boulder noch einmal zu klettern. Sinn macht das keinen. Ein berühmter Kletterer hat einmal gemeint, es ist so wie Sex mit der Ex. Man kennt jeden Handgriff aber man freut sich doch auf was Neues.
Seit meinem Vollzeit-Erwerbsleben und diversen Haus-Aufgaben und der damit verbundenen 5-7-Tage Woche backe ich kleinere Brötchen. Die Zahl der durchgestiegenen Projekte sinkt gegen 0. Dabei haben wir einen schönen Herbst mit Prime Conditions – deshalb bin ich schon froh überhaupt am Fels zu klettern und nütze jede Gelegenheit dazu.
Letztes Wochenende war ich wieder einmal am Reinischkogel zum Bouldern und um was sich diese Geschichte dreht, ist ein ganz spezieller Boulder. Roland wollte den „Keep the Volume 2.0″ sehen und auch probieren, den ich heuer im Juni bereits schon einmal wiederholt habe.
Ein wenig furchteinflößend ist er immer. Ein überhängendes Schild mit krätzigen Leisten und vom Erstbegeher als “ maximal 7A“ eingestuft. Die kleinen, scharfen Leisten im Überhang sind nicht jedermanns Sache. In den letzten 10 Jahren bin ich den Boulder 2x geklettert. 1x am Tag der Erstbegehung als 2. Wiederholer und dieses Jahr im Sommer auch einmal. Irgendwie ist dieses Problem eine Art Leistungsindikator für mich.
Kann ich die Leisten halten? Kann ich sie auch durchziehen?
Die Crashpads aufgebreitet, die Finger in das Chalk getaucht, Tickmarks an den wichtigsten Stellen angebracht – nicht, dass ich die Griffe nicht finden würde, aber ein bisschen geht’s schon um den Style und auch um bei einem verzweifelten Blick sich gleich orientieren zu können. Fünf Augenpaare sind auf mich gerichtet und ich selbst steige ein, mit dem Wissen, dass ich das schon klettern kann.
Der erste Zug geht. Die Seitleiste kann ich halten, aber von weiterziehen ist noch keine Rede. Es dauert ein wenig bis mein fauler Körper sich der Anforderung bewusst wird und die Muskeln die letzten Muskelfasern rekrutieren. Bald gelingt der Zug auf die zweite Leiste, die Schlüsselstelle. Erbarmungslos klingt im Zusammenhang mit diesem Grad ein wenig lächerlich, aber das ist sie wirklich. Auch hier dauert es einige Versuche bis ich die Leiste nicht nur halten, sondern auch von ihr weiterziehen kann um ein kleines und leicht abfallendes Bankerl für die ersten zwei Fingerglieder zu erwischen. Die Haut an den Fingern ist schon ein wenig in Mitleidenschaft gezogen, aber es blutet noch nichts. Ein weiteres Mal durch die harten Züge am Anfang und auf einmal geht alles ziemlich schnell. Die mittleren Züge fallen mir leicht und das Top Out ist kein Stress mehr.
Als ich auf dem Boulder stehe, merke ich einen leichten Adrenalinrausch. Die Hände zittern, das Lächeln in meinem Gesicht wird breiter, der Magen fühlt sich komisch an. Etwas merkwürdig ist das schon. Emotional bin ich mit diesem Boulder nicht verbunden, abgesehen davon, dass er eine wunderschöne Linie ist. Noch einmal machen werde ich ihn wahrscheinlich auch nicht mehr, aber wie die letzten beiden Male war es auch dieses Mal etwas Besonderes für mich.
Erkärung habe ich dafür keine, vielleicht ist er weniger eine Ex. Mehr eine Affäre, mit der man manchmal ein Abenteuer verbringt. Oder liebe ich das Klettern so sehr, dass es mir mittlerweile egal geworden ist, ob ich die Linie schon einmal geklettert bin? Wichtig für mich, so scheint’s, ist es draußen unterwegs zu sein, Fels unter den Fingern zu haben und eine gute Zeit zu verbringen – das ist es was zählt.
Und morgen ist ja auch wieder Samstag!
